Ein Liebesbrief – geschrieben aus der Froschperspektive

Wasserstandsmeldungen aus einer niemals untergehenden Stadt

 

 

Lieber Martin,

 

der morgendliche Regen hat mich geweckt. Ich schaue aus dem Fenster und kann gar nichts erkennen. Mein Tee ist kalt geworden und ich frage mich,  warum ich überhaupt aufgestanden bin. Alles ist grau, außer Dein Bild an meiner Wand ...

 

Ein Bild aus besseren Tagen. Du hast bei mir in der Küche gesessen. Wann sitzt schon mal ein künstlerische Leiter und späterer Intendant eines Theaters  bei einem eventuellen Laienschauspieler in der Küche? Du wolltest mich haben. Du hast mich gekriegt.

 

Dies ist ein Liebesbrief.

Nein, nicht so einer, oder doch?

 

Das waren noch Zeiten, als wir durch die Stadt gezogen sind, Du, ich und meine Kamera.  Ein paar Fotos hier, ein paar da und dann noch ein oder zwei, oder drei Posen im Atelier. Wir waren glücklich. Damals. Damals war alles so schön. Doch wir waren viel zu jung, viel zu jung, um unser Glück zu verstehen. Ich war glücklich, als Du bei mir ein großes Bild für Deine Mutter bestellt hast. Ab da hätte ich Dir überall folgen können. Bin ich auch. Zunächst mal ins Theater. Ich war nur einer von vielen, aber ich habe Dich immer nur von oben herab angeschaut. Ich meine von der Bühne zu Dir nach unten – wo du auf Deinem Regiestuhl gesessen und Dir Notizen für die Probenkritik gemacht hast. Wie haben wir das gefürchtet. Aber einmal, gerade als ich eine tolle Leistung auf die Bühne zauberte, hast Du auf Dein Handy geschaut. Ich habe Dir verziehen, wie man das so macht in einer guten Ehe. Zumal Du gleich darauf gejubelt hast. Ja, die Fördermittel wurden bestätigt. Auf diese Nachricht hattest Du mit dem nervösen Blick gewartet.   

 

Draußen hat der Regen aufgehört. Die Lange Straße in Barth ist menschenleer. Eine starke Frau mit einer starken Brille kommt die Straße runter, stellt die Fischkiste ab, klettert rauf und ruft „Generaaaaaaaaaalstreik“.

 

Martin, Du hast mich öfter gelobt als ich es verdient hatte. Dafür hing ich an Deinen Lippen, die im Gestrüpp Deines Bartes  schwer auszumachen sind. Ich sollte langsamer schauen, langsamer sprechen, noch unsympathischer sein. Und schleimiger junge Mädchen anstarren. Das hast Du mir alles beigebracht. Als ich klein war, wollte ich unbedingt Schauspieler werden. Ich habe mich dann doch nicht gewagt. Die tollen Liebhaber-Rollen hätte ich nie gekriegt! Ich weiß nicht, wie ich das verkraftet hätte. Jetzt, Jahrzehnte später, habe ich für Dich den alten Trottel, den doofen Bauern und den ekligen Gefängnisdirektor gespielt. Für Dich.

Du hast mich im Theater sogar singen lassen, obwohl, naja ...

Auch den Weihnachtsmann durfte ich für Dich mimen. Da hatte ich aber schon einen Grünbärtigen aus Dir gemacht, weißt du noch?

Meine „UmdiefünfEckenWitze“ haben meine Mitspieler oft nicht verstanden. Dann hast Du Dich umgedreht und mir zugezwinkert. Und wenn es Dir zu bunt war, dann hast Du aufgelöst. In solchen Momenten waren wir Brüder im Geiste.

Was Du aber nicht geschafft hast, war, mir beizubringen, wie man sich einen Richter-Talar einarmig, mit der anderen Hand ein Mikro haltend, Playback singend, innerhalb zwei Strophenzeilen anziehen kann. Du hast es mir vorgemacht. Lernt man das auf der Schauspielschule?  

 

Auf der Straße geht die Tür eines Hauses auf. Noch eine. Noch eine.  Erst spärlich, dann immer mehr, erst vorsichtig dann behende, treten immer mehr Menschen auf die Straße. Sie scharren sich um die Frau mit der starken Brille, die um sich schaut, tief einatmet und noch einmal „Generaaaaaaaaalstreik“ skandiert. Jetzt ist die Menschenmenge gar nicht mehr zu überblicken.  Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, aus Handwerks- und Gewerbesbanden, aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Straßen quetschender Enge, aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht. Sie nehmen die Stimmung auf und jetzt rufen sie vielstimmig im Chor „Generaaaaaaaaalstreik“.

 

Lernt man das auf der Schauspielschule, lieber Martin, wie man innerhalb einer Nacht die Rolle eines ausgefallenen Schauspielers lernt, nur damit das Schulstück am nächsten Morgen nicht ausfällt? Da warst Du mein Held.

Heldenhaft fand ich es auch, wie Du Dich auf Deine Rolle als Egon Olsen vorbereitet hast. Ein öffentliches Rasier-Event auf der Granitz! Da muss man erst drauf kommen. Weg war Dein komischer Vollbart. Ich verstehe Dich aber. Wer im Auto auf der Straße wohnt, der hat keine Zeit zum Rasieren. Nein, Intendant lernt man nicht auf der Schauspielschule.  Und wer auf der Straße in das Hase-und-Igel–Spiel verwickelt wird, muss immer aufpassen, nicht der zweite Sieger zu sein. Jetzt musst Dich nicht mehr hin und her hetzen.

 

Die Menschenmassen setzen sich langsam in Bewegung.  Ganz vorne führt ein Banner den Zug an. „Seid nicht dumm , bringt das Theater nicht um“. Darauf ein Bild von, nein, es ist nicht Che Guevara, das bist Du! Du bist gemeint. In der ersten Reihe gehen Friedrich der Große, die Frau mit der großen klugen Brille und dem Kampfdutt, die starke Frau mit der starken Brille und ein gar nicht mehr so runder Mann mit Knopfaugen. Alle gucken entschlossen. Sie tragen Schilder mit „Wir wollen unseren M. Schneider wiederhaben“ und so. Und immer wieder Dein Che-Guevara-Schneider-Porträt mit Mark-Forster-Touch. Alle sind ganz aufgeregt. Wo soll es hingehen? Nach Anklam, nach Anklam! Auf nach Anklam! Reiht Euch ein! Macht mit! Wir sind, was folgt ...   

 

Hast Du Dir jemals vorgestellt, lieber Martin, dass das alles mal so kommen würde?  Was willst Du jetzt machen? Ja, Deine Familie..., und dann? Was wird aus Barth?

 

Und am Ende des Tages bist Du einen Tag älter.

So war's immer, so bleibt's, das ist unser Geschick.

Und am Ende des Tages bist du einen Tag kälter.

 

Doch dann trittst Du auf einen Balkon und die Menschenmassen bleiben stehen und schauen zu Dir auf. Plötzlich ist es ganz still.

  

„Weine nicht um mich Barth, die Wahrheit ist, ich verlasse Dich niemals.“

 

Ja, wenn jemand geht, dann geht man niemals so ganz.

 

Und dann: „Ich bin ein Barther!“

 

Jubel bricht aus.

Plötzlich haben alle Barther eine Martin-Schneider-Che-Guevara-Mark-Forster-Maske  auf. Sie jubeln noch immer. Und wieder setzt sich der Zug in Bewegung.  „Ich bin ein Barther“, rufst du noch einmal. Und noch einmal. Und die Barther rufen zurück; „Wir sind Martin Schneider!“  Es geht zum Barther Theater. „Wir sind das Barther Theater!“

„Wir sind das Barther Theater!“

 

Tja, wer Theater säht, wird ganz schönes Theater ernten, denke ich noch.

 

Ja,  aber,  Martin, ich ...

 

Okay, ich bin schon groß. Barth auch ...

 

Lass Dir über die Schulter spucken!

 

Dein Richter, Opa Brummer, doofer Bauer, Bürgermeister Goldmann, Dein Gefängnisdirektor und Dein Weihnachtsmann!

 

 

 

Bei der Erstellung dieses Textes habe ich woanders ganz viel geklaut.

Liedtexte, Gedichte, Aussprüche, Filmszenen ect.

 

Viel Spaß den Plagiatsjägern! 

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Kommentare: 4
  • #1

    Sam (Dienstag, 28 September 2021 10:02)

    Große Liebe geht an den Schneider raus!

  • #2

    Irene Schuhmacher-Reidel (Dienstag, 28 September 2021 14:18)

    Dieser Liebesbrief rührt mich zu Tränen. Ich würde gerne mit demonstrieren ...lg

  • #3

    Cornelia Wanke (Freitag, 01 Oktober 2021 19:37)

    Ich finde,unser Martín darf sich nicht unterkriegen lassen,weil er einfach Klasse ist ��

  • #4

    Dörte Zegenhagen (Samstag, 09 Oktober 2021 09:55)

    Danke für diesen wunderschönen Beitrag �