Die Hörner hoch!

 

 

Wasserstandsmeldungen aus einer niemals untergehenden Stadt

 

Vorhang auf! Das Spiel beginnt:

 

 

Ich zeige meinem kleinen Sohn die wunderbare Welt des Theaters! Wir dürfen heute Abend beide an der Premiere „Die Wikinger kommen“ hinter der Bühne im Barther Theatergarten teilnehmen. Hinter der Bühne! Back Stage! Wenn mein Sohn aufgeregt ist, dann wird er ganz still – so wie jetzt.

 

 

Der Theatersaal ist leer.  „Hallo“, dröhnt es plötzlich hinter uns und ein großer braungebrannter junger Mann mit wenig Haaren und einem Zopf läuft barfuß an uns vorbei. Mein Sohn schaut erschrocken zu mir. „Der König“, flüstere ich und wir laufen dem Barfußkönig hinterher. „Die Wikinger haben einen König?“ Ich kann die Frage nicht mehr beantworten, denn plötzlich stehen wir in der Küche. Wir sind allein. Uns starrt eine Armee von Rucksäcken, leeren Flaschen, Essen aller Art, Handys, Textbüchern, Requisiten und Klamotten an. Verdammt, denke ich nur und zerre meinen Kleinen wieder zurück.  Inzwischen steht eine Gruppe Frauen im Saal. Sie geben laute Töne mit weit schwingenden Armbewegungen von sich.  Jetzt lächelt mein Sohn endlich vorsichtig. „Böööööööööbaaaabu“, macht er leise mit, jetzt schon kichernd. Doch es bleibt keine Zeit, den Wikinger-Frauen zuzuhören. Ein Mann mit einer Art Handy steht in der Tür, ein anderer kommt hinzu und fragt etwas, beide gehen weg. Eine komische Gestalt mit einer langen dunklen Nase schwebt lautlos an uns vorbei und eine andere Frau mit einem Bogen übt, einen Pfeil einzuspannen. Ein älterer Herr mit Badelatschen schlurft von links nach rechts. „Willkommen im Theater“, sage ich zu meinem Filius, der reißt sich los, springt auf die Saal-Bühne und singt hüpfend „Theater, Theater!“ „Auf der Bühne wird nicht gesungen“, schallt es schroff aus der Garderobe. Vor Schreck fällt Sohnemann auf die Nase. Eine ältere Frau in hellem Gewand hilft ihm auf, streichelt ihn über den Kopf. „Ist schon gut!“ Wir gehen raus, direkt hinter die Freiluft-Kulissen des Wikinger-Stückes.

 

„Das Schlimmste ist das Warten“, sagt eine Darstellerin. „Das Schlimmste ist das Warten“, wiederholt sie immer wieder. Wir sehen durch ein Loch im Zaun, wie sich die Ränge mit Zuschauern füllen. Ein Gewimmel vor und hinter der Bühne. Zwei Wikinger scherzen miteinander. Ein Frau sitzt ganz ruhig mit geschlossenen Augen. Der Mann mit dem Walki-Talki schaut in sein Textbuch. Von hinten kommt ein Schauspieler gelaufen und verschwindet in dem Container gleich hinter der Bühne. Tick, tack. „Das Schlimmste ist das Warten.“ Hinter uns versammeln sich Frauen in Ledersachen mit geflochtenen Zöpfen, mit Speeren und die eine mit dem Bogen. Der Barther Bürgermeister und der Regisseur Martin Schneider gehen nach der Begrüßung von der Bühne. „Wir sind soweit“, sagt der Mann in sein Walki-Talki. Für einen Moment: Stille. Anspannung. Konzentration.  Wildgänse ziehen am Himmel über der Bühne entlang. Da: Trompeten! Trompeten! Trommeln! Trommeln! Es geht los. Endlich geht es los!

 

 

Kinderaugen leuchten. Es geht also los! Nervös hüpft mein Filius auf der Stelle.

 

Die Frauen laufen auf die Bühne. Frauen? Er schaut mich fragend an. Naja, die Wikinger hatten auch Frauen.  Bei Thors Hammer! Sie saufen wenigstens, denke ich. Darauf einen Met! Als die Seherin Kristal das erste Mal die Bühne mit Nebelschwaden verhüllt, schmiegt sich mein Sohn eng an mich heran, um dann gleich danach die Arme im Takt des Bootsbauer-Liedes der Werftfrauen zu schwenken. Filius freut sich über den Kinderauftritt und zupft an meinem Ärmel vor Aufregung. Ich gehe auf Martin-Schneiders-Gedankenwelt-Entdeckungsreise. Jaja, „Lernen, lernen und nochmals lernen“ – das ist einfach: Lenin. Dann dröhnen die Wikinger Rammstein und stecken die Zunge raus wie die Maori.  „Ein Jarl (König) der sich als Geselle verdingt, um für sein Volk den Schiffbau zu erlernen.“ Kenne ich auch irgendwo her. Ja, ist ja gut, Brecht, ich glotze ja nicht so romantisch. Egon Olsen wird auch zitiert. Doch was der Regisseur mit „Kristals met“ meint, ist mir schleierhaft ...

 

 

„Ahuuu“ skandieren die Wikinger. „Oi“ antworten die Frauen. Mein Sohn kichert und quietscht, die Wikinger Geri und Freki stellen sich ja wie Ostfriesen an. „Möchtest Du einen Schluck Met?“, fragt Kristal dreimal und die Zuschauer beginnen sich auf die Schenkel zu klopfen. Oder wenn die Hörner der Wikinger, ja jetzt doch Hörner, als neuesten Modeschrei angepriesen werden: „Man muss doch mal etwas wagen“ – „Hörner auf Helmen werden sich nie durchsetzen“. Tanz der Wikinger, Auftritt der Wölfe. „Papa, da stecken Frauen im Kostüm. Die Wölfe sind Frauen!“ Das weiß ich schon lange, denke ich, dass Frauen Wölfe sein können.

 

 

Pause.  Wackersteine fallen von den Herzen der Schauspieler. Lacher und Freude überall. „Wir sind noch nicht am Ende“, warnt die Tanzchoreografin. Essen, trinken, schwatzen, Handy, Textbuch, Luft holen. Mein Sohn  sieht „Alice im Wunderland“ im Wikingergewand. „Das ist Theater, mein Kleener“, denke ich und strecke mich mit stolzer Brust.

 

 

Papaaaaaaaaaaaaa!!!!! Mein Sohn ist entsetzt. Holmgang nach der Pause wie auf Leben und Tod! „Ahuuuuu“. Eine Frau schreit mit einer Fackel in der Hand! Sie will alles niederbrennen!

 

 

Die Bühne bebt im Kampfgetümmel. Met! Met! Mehr Kristals Met! Filius krallt sich an mich fest. Die Frauen siegen! „Oiii!“ Vorbei. Liebeslied. „Ahu, Oi – Ahoi!“ Und Martin Schneider hat das Ahoi erfunden! Jetzt glotzt sogar mein Sohn romantisch! Wir haben Pippi in den Augen! Tücher, Nebel, die schweren Stiefel wiegen im Takt der Melodie. Als ob die Tücher die Begeisterung des Ensembles auf das Publikum wehen lassen. Wunderkerzen! Mein Sohn auch! Mein Sohn auch! Beifall, Johlen. Seine Augen glänzen. Er grinst wie ein Honigkuchenpferd! Mein Kleener! Beifall! Beifall für alle und immer noch mehr. Dann wieder Musik und Tanz. Lass sie niemals aufhören!

Niemals!  „Ich werde wiedergeboren, aber nie wieder ohne mein Horn!“, singt der Barfußkönig jetzt in Stiefeln. Ich singe jetzt auch. Gerade so kann ich meinen Kleinen aufhalten, auf die Bühne zu springen und mitzutanzen. Hinein in die Welt des Scheinwerferlichtes.  

 

Sie liegen sich alle in den Armen, jubeln. Wir stehen daneben und haben beide den Mund auf. Es ist geschafft. Die Hörner hoch!

 

Wir gehen.

 

„Papa, wenn ich groß bin, dann werde ich auch Schauspieler!“

 

„Ja klar“, denke ich und muss lächeln. Wir verabschieden uns.

 

 

 

Der Vorhang fällt. Das Spiel ist aus.

 

Ich schaue zu ihm herunter. Ich bin allein. Ich war die ganze Zeit allein. Wohl zu viel Kristals Met getrunken. Jetzt verstehe ich …

 

Alle gehen vergnügt nach Haus.

 

 

 

Frank Burger

 

 

„Die Wikinger kommen“ wird noch bis zum 30. August im Theatergarten Barth gezeigt.

Wenn Sie Lust haben, dabei zu sein, bringen Sie ruhig das Kind in Ihnen mit!

Ahoi!

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Christine Zilm (Montag, 22 Juli 2019 04:24)

    Ein wunderschöner Text besser kann man das Bühnenspetakel nicht beschreiben.
    Ich kann nur jedem empfehlen kommt in den Theatergarten, lasst euch verzaubern und rutscht einen Abend in die Welt der Wikinger, ihr werdet staunen was da auf der Bühne präsentiert wird.Allen Mitspielern gilt meine Hochachtung für die erbrachte Leistung.

  • #2

    Kerstin Klein (Donnerstag, 29 August 2019 20:51)

    Morgen ist die 19. und leider auch schon letzte Vorstellung im diesjährigen Theatergarten. ..Es war soooo toll und leise Wehmut zieht durch mein Gemüt. Aber umso mehr freuen wir uns auf die Wikinger 2.0 im nächten Jahr! Vorfreude, schönste Freude!!! Danke an alle Theater-Leute für diesen wunderbaren Sommer!