Corona-Zeit in Barth – Wir meistern das!

Wasserstandsmeldungen aus einer niemals untergehenden Stadt


Entsetzt springe ich auf und laufe zur Toilette. Ich habe die Orangenscheibe des Cocktails im Jambolaya (die Bar hatte da noch auf / 22.3.) mit der Hand gegessen. Dabei hatte ich gerade eben eine Bekannte aus alter Gewohnheit mit der Hand begrüßt. Ich wasche die Hände intensiv und spüle mir den Mund aus. Im Spiegel schaut mich ein Typ mit Todesangst an. Was ist nur aus mir geworden. 
Dabei gelte ich in meiner Familie wohl als „Cowboy der Truppe“. Immer cool und locker. Dennoch sollte man ihn nicht reizen, durchaus gefährlich, aber immer eine Lösung in der Tasche. Obwohl Nichtraucher, qualmt immer virtuell eine  Zigarre lässig aus dem unrasierten Mundwinkel – in der Hand das Whiskey-Glas. Dazu noch unerträgliches Klugscheißertum gepaart mit exzellenter Insel-Intelligenz einschließlich plötzlichem Wahnsinnsbefall.
Und dann das. Der Chuck Norris für Arme schwitzt um sein Leben wegen eines Handschlages und einer Orangenscheibe!
Ich schaue auf meine Hände: wabblige Waschfrauengriffel.

Wie gehen andere mit dieser Situation um? Leute, die direkt mit Menschen zu tun haben oder direkt am Menschen arbeiten. Ich habe in Barth Fragen gefragt.

Der Sachbearbeiter: Tim Winkler

Tim Winkler ist seit November 2019 Sachgebietsleiter im Ordnungsamt Barth. „Ich wollte mich gerade einleben, da kam die Kontaktsperre. Und zum Friseur wegen dieses  Interviews konnte ich auch nicht gehen.“ Der 33-Jährige  grinst und würde jetzt wohl online ein Zwinkersmiley posten. Der gebürtige Magdeburger hat seinen Humor noch nicht verloren. Im Barther Rathaus ist er verantwortlich für Gaststätten, Gewerbe- und Ordnungsrecht. Als die Corona-Epidemie akut wurde, ist Winkler aus seinem Kurzurlaub gerufen worden: Ein Krisenstab sei einzusetzen. Mit der Verordnung vom 18. März mussten alle nicht lebenswichtigen Geschäfte schließen. Tim Winkler und seine fünfeinhalb Mitarbeiter mussten dies durchsetzen und kontrollieren. „Es funktionierte alles. Die Betreiber hatten sich gut informiert. Ihnen gebührt ein großes Lob von mir“,  sagt der Sachgebietsleiter. Ja, sogenannte Anschwärzanrufe habe es gegeben. Winkler stellt dazu klar: Blumenläden und Mischwarenhändler dürfen geöffnet haben. Letztere müssen eine deutliche Trennung ihrer Angebote herstellen. Für alle gilt die Abstandspflicht. „Wir wollen ja nichts kaputtmachen“, fügt er hinzu. Problematisch sehe er die noch immer durchaus schwammige Anordnung zum Einreisestopp ins Land. Angehörige ersten Grades dürfen sich besuchen? Wer will das kontrollieren? Ebenso kritisch sieht er Ostern. Dennoch hofft Tim Winkler auf die Vernunft der Barther. „Ich vertrete meine Rechtsauffassung. Aber die Zusammenarbeit mit den Menschen hier macht mir Spaß. So kann man die Region auch kennenlernen. Und das sind durchaus positive Erfahrungen.“ Sagt es und macht sich auf nach Hause in die Hansestadt Stralsund. „Ich habe da einen Kuchen bestellt. Ich unterstütze das heimische Gewerbe.“ Wieder grient er und zwinkert.

Der Notfallsanitäter: Stefan Scharp

„Wundern Sie sich nicht, wenn wir mit Mundschutz kommen“, sagt Stefan Scharp, Notfall-Sanitäter aus Frauendorf.  Der 32-Jährige kennt das Krankheitsleid von A- Z und ist in der Region in 12h-Schichten unterwegs. „Wir arbeiten ja schon immer  mit Infektionskrankheiten. Jetzt in der Corona-Epidemie sind wir noch einmal sensibilisiert worden“,  informiert Stefan Scharp.
Zu viert mit einem Notarzt geht es in die Schichten. Da werden normale Einsätze gefahren. Immer wieder rufen Leute an. Dann wird telefonisch abgefragt: Haben Sie Husten? Fieber? Welche Kontakte hatten Sie? Zumeist wird häusliche Quarantäne empfohlen. Nur Akutfälle kommen ins Krankenhaus. „Sie können uns vertrauen. Wir sind das Fachpersonal. Gehen Sie bei Beschwerden zum Hausarzt“, beruhigt der Notfall-Sanitäter. Bisher hatte Stefan Scharp nur einen Verdachtsfall, von dem auch keine Rückkopplung vorliegt. Insgesamt gab es mit Stand 1.4. erst einen Corona-Fall einer Person in Barth. 
„Die Leute halten sich aber insgesamt an die Kontaktsperren. Manchmal sind Jugendliche zu sorglos.“ Stefan Scharp wirkt in sich ruhend, während er das sagt.  „Alles wird gut. Wir meistern das“, schiebt er noch hinterher, was auch für die Freiwillige Feuerwehr gelte, bei der er auch noch aktiv ist.

Die Arzthelferin: Heike Engel

Die Telefone stehen in der Hafenpraxis in Barth nicht still. Wer krank geschrieben werden muss, ruft an und erspart sich so den Weg zum Arzt. Die Gemeinschaftspraxis hat in Corona-Zeiten Platz geschaffen. Im Warteraum ist die Bestuhlung reduziert worden, vor dem Tresen sind auf dem Boden Abstandsstreifen geklebt. Die Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit. Aber werden nicht Allgemeinärzte gerade jetzt besonders benötigt? Ja, aber: Die Mütter mit kleinen Kindern sind jetzt zu Hause. Ärzte und Schwestern haben sich in zwei Teams aufgeteilt, die jeweils von 7 – 13 Uhr in der Praxis anwesend sind. Falls sich jemand infiziert, kommt das komplette Team in Quarantäne und wird durch das andere ersetzt.
Eine der Schwestern ist Heike Engel. Die 39-Jährige Mutter zweier Kinder hat bis 2017 als Altenpflegerin gearbeitet. Die jetzige Arzthelferin  möchte sich zur Medizinischen Fachangestellten qualifizieren. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und den drei Ärzten (Arne Wasmuth, Beatrice Förster und Martin Domnick) ist sie sicher, dass auch die Corona-Zeit gut gemeistert wird. „Viele rufen bei Infekten an und wir fragen sie dann ab. Je nach Antworten und Risikogruppe geben wir dann Ratschläge zur weiteren Verfahrensweise“, so Heike Engel. „Wir sind optimistisch und bereit, falls die Herausforderung größer wird“, fügt sie hinzu. Die nächste Herausforderung wartet allerdings nach Feierabend auf sie: „Ich bin ja jetzt auch Lehrerin für meine Kinder. Für den Vormittag bekommen sie Aufgaben und am Nachmittag sitzen wir dann gemeinsam am Lehrstoff.“ Die 13-jährige Tochter sei schon sehr selbstständig. Den neunjährigen Sohn muss die Bartherin ab und zu mal anschubsen. Da kommt dann ein Anruf aus der Arztpraxis nach Hause. Wie war das nochmal mit Multitasking? 

Die Verkäuferin: Karola Bütow

Nein, Angst, dass sie sich anstecken könnte, habe sie nicht, meint Karola Bütow. Die 56-Jährige ist Verkäuferin bei famila in Barth. Seit 1993 nun schon. Die Bartherin steht am Informationsstand hinter einer Plexiglasscheibe und trägt Handschuhe. Kassenaufsicht, Lotto, Post, Informationen und Kasse sind ihre Aufgabengebiete. Die Kollegen und Kolleginnen arbeiten im 2-Schicht-System.
Durch die Corona-Epidemie sind mehr Kunden im famila. Die Leute sind zuhause, haben mehr Zeit und verpflegen sich auch selbst. Sie kochen und backen. Sicher habe es zu Beginn der Krise auch Hamsterkäufe gegeben und das Toilettenpapier war auch schon ausverkauft. Doch alles wird schnell wieder aufgefüllt und wenn mal eine Marke nicht vorhanden sei, dann könne man eben Nudeln eines anderen Herstellers nehmen. Die Mitarbeiter werden auch nicht beschimpft. „Im Gegenteil, viele Kunden sind sogar freundlicher und froh, dass wir unsere Arbeit machen“, berichtet Karola Bütow. Ausnahmen gibt es aber immer. „Aber wenn wir zum Beispiel höflich auf den Mindestabstand hinweisen, dann klappt das auch“, so die Verkäuferin. Nur wenige Kunden kommen mit Mundschutz und Handschuhen einkaufen. Sie wolle auch selbst keinen Mundschutz tragen. Karola Bütow fühlt sich sicher.
Insgesamt ist das famila-Team komplett einsatzbereit. Drei Kolleginnen haben zwar Kinder zuhause, aber sie organisieren den häuslichen Alltag und kommen dann zur Arbeit.
„Ich gehe ganz fest davon aus, dass wir das schaffen“, sagt Karola Bütow hinter ihrer Plexiglasscheibe.

 

 

Ich hebe meinen Kopf. Das Antlitz des angsterfüllten Mannes im Spiegel wird immer undeutlicher bis es ganz verschwindet. 

Stattdessen sehe ich Barther, die in Massen auf die Straßen strömen, Barther Fahnen schwenken und „You never walk alone“ singen.

Alles nur in meinem Kopf. Aber im Geiste ist es so.

 

Also wenn schon Krise, dann scheint Barth ein guter Ort zu sein, um sie zu überstehen.

Abstand halten – Hände waschen – optimistisch bleiben.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

 

PS: Wenn Sie außergewöhnliche Geschichten zur Corona-Bewältigung wissen, dann schreiben Sie mir. Ich erzähle sie weiter... 
   

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Kommentare: 3
  • #1

    Kuno von Norden (Freitag, 03 April 2020 17:48)

    " ... Euer Magnifizienz , aus dero wabbeligen Waschfrauengriffeln entsprungenem , wohlgelungenen hochwohllöblichen Sermon sprang mich die schlaue Selbsterkenntnis des *... unerträglichen Klugscheißertums , gepaart mit e x z e l l e n t e r __ I n ( s e l l ) i g e n z ... * , sofort an . Auch der *... plötzliche __ W a h n s i n n s b e f a l l ... * ist uns Deinerseits ja nichts grundlegend N e u e s ... ? Und wie A n d e r e __ mit diesen stetig wiederkehrenden Situationen bei Dir umgehen ... ? ? Nun , wir lieben Dich s o o o __ wie Du bist ... --- ... w i r __ s c h a f f e n __ d a s .... ! __ ! " _______________________ H A L T E N __ Z U __ G N A D E N __ , __ S I R E ... ! __ ! ____ ;-))))

  • #2

    H.Schatz (Samstag, 04 April 2020 01:29)

    Kuno von Norden, recht hast du!

  • #3

    h (Montag, 20 Juli 2020 20:40)

    !