Wasserstandsmeldungen aus einer niemals untergehenden Stadt
Ja, da zieh’n wir noch einmal durch den Saal. Mit tschingdarassabumundoléolé. Immer immer noch einmal!!!
Nochmal so richtig einen drauf machen. In Barth. Am letzten Wochenende vor dem Lockdown. Tor zu. „Die Pest“ noch einmal lesen. Neee, das geht nicht, da muss ich doch noch einen Joker aus dem Ärmel ziehen ...
Was mache ich in Barth am letzten Wochenende vor dem schwarzen Loch? Tschingdarassabum und so?
Zum Halloween gehen?
Ach, wenn es mich doch nur gruseln würde! Im Fangelturm sitzt Mario Galepp.
Vielleicht gehe ich zur Rammler-Schau! Da gruselt es mich? Es beschleichen mich da viele Gefühle. Aber gruseln?
Einen Joker habe ich aber noch:
Ich gehe zu einem Stadtrundgang mit einer Hexe. Mit einer Hexe aus Bernstein. Mit Karin Bernstein!
Es ist Nacht! Es ist Nacht auf dem Marktplatz! Mit einem schwarzem Mantel und einem schwarzem Hut, aus dem sich lange grau-weiße Haare um das ernste Gesicht legen, steht die Barther Hogwards-Lehrkraft vor uns. Mittelalter. Plötzlich ist die Marien-Kirche verschwunden. Ich renne auf die Leere zu und bleibe wie vom Blitz getroffen angewurzelt stehen. Ich sehe einen Bauplatz, ein Gewusel von Bauarbeitern, die mannshohe Mauern hochziehen. Ein Stimmengewirr. Geschrei. Pferdewagen bringen neues Baumaterial.
Ich drehe mich um. Häuser im Bau. Händler preisen ihre Waren an. Eine Frau rennt an mir vorbei, gleich dahinter folgt eine weitere: „Haltet sie, sie hat mein Schwein verhext!“
Wie im Trance schleppe ich mich weiter. Ich trete durch ein Tor. Frischer Wind schlägt mir entgegen. Gischt im Gesicht. Fischer mit ihren Karren stapfen mir entgegen. Männer mit schwankendem Gang und furchtbar guter Laune streben in die Stadt. Weiter, immer weiter. Ein dunkelhäutiger Mann mit Glubschaugen und Trompete hechelt lächelnd an mir vorbei. Pferde ziehen einen Wagen mit einem Käfig. Darin die Frau, die eben noch auf der Flucht war. Gefesselt. Gerade gehalten an einem Pfahl. „Die Hexe muss brennen!“ Die Menschenmenge kreischt, schmeißt faules Obst. Ich wische mir Apfelteile aus dem Gesicht. Ein rohes Ei folgt.
Gruselt es mich?
Nicht vor dem Palast, vor dem ich jetzt stehe. Ich atme auf. Eine fürstliche Kutsche fährt vor. Was für eine Pracht! Ich bin neugierig und komme näher. Durch ein Fenster in einem Nebengebäude versuche ich den geschäftigen Männern zuzusehen. Sie hantieren mit Geräten, Platten, Pressen, Papier: Sie drucken Bücher! Vor Freude werde ich unvorsichtig und bekomme in der nächsten Seitengasse einen Eimer Unrat über den Kopf geschüttet. Ich rette mich in einen Turm.
Hier empfängt mich wieder die Frau mit den weißen langen Haaren.
Ach bitte, lass mich gruseln!
Sie lächelt nicht einmal:
„Daumenschrauben, Beinschienen, Mundsperren, Streckbank, Hexenkragen, Die eiserne Jungfrau“ zählt sie auf. Ich weiß jetzt auch, woher das Sprichwort „Feuer unterm A ...“ kommt. Mich gruselt. Aber ich bin ja keine Frau. Frauen wurden so gefoltert. Mein Joker?
Ich taumele die engen Treppen des Fangelturms herunter. Das war es! Barth bei Nacht. Noch eine Nacht, dann Lockdown. Wieder die Glubschaugen. Ein Lachen mit weißen Zähnen.
Jetzt gruselt es mich wirklich. Lockdown in Barth im November!
Vielleicht sollten wir draußen alle rote Nasen tragen, um es zu ertragen!
Red-Nose-Month in Barth!
Oder Glubschaugen machen!
Ich sehe mich im Spiegel an. Der Joker schaut zurück. Eine Träne rinnt an meiner Wange herab. Nein, nicht heute! Nicht hier! Nicht jetzt! Ich schnipse mit den Fingern: „It’s Showtime!“
„And I think to myself: What a wonderful world!“
10 selbstheilende Sprüche für Barth im November:
1. Barth man tau!
2. Make Barth great again!
3. Yes we can!
4. Barth, du bist so wunderschön!
5. Wir schaffen das!
6. Ich bin ein Barther!
7. Das Wir gewinnt!
8. Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut!
9. Völker hört die Signale!
10. Fischbröööööötchen!
Dann reitet der Teufel mit der Hexe auf einem Besenstil davon!
https://www.youtube.com/watch?v=2nGKqH26xlg
Kommt gut über den November!
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