Proudly presenting: Die zukünftige Ostbeauftragte der Nachwendekinder!

2017 habe ich die jetzt 28-jährige Lisa Walter bei einem Porträt-Shootingprojekt kennengelernt. Die ausgebildete Medizinische Fachangestellte ist in Ribnitz geboren und „seit ihren 5. Lebenstag“ Bartherin.  Seit dem 1. Juli arbeitet die fröhliche junge Frau in einer onkologischen Praxis in Rostock. Wir treffen uns am Hafen und sitzen während des Gespräches auf den hölzernen Treppen an der Hafenkante.

 

Wenn ich Dich jetzt frage, warum wir uns hier treffen, dann wirst Du sagen, dass hier der schönste Ort in Barth ist, dass Du gern hier bist, das Flair und die Aussicht auf den Bodden und den Sonnenuntergang genießt. Ist das richtig?

 

Lisa Walter lächelt noch breiter: Ja. Es gibt aber noch einen anderen Grund.

 

Und der wäre?

 

Der Hafen gehört zu meinen familiären Wurzeln. Ich komme aus einer Fischerfamilie. Mein Ur- und mein Großvater waren Fischer hier in Barth. Der Bodden ist Fluch und Segen gleichzeitig. Mein Opa ist 1998 im Bodden ertrunken. Trotzdem ist es hier wunderschön. Ich habe auch ein Tattoo, das meine Verankerung in diese Region dokumentiert.

 

Junge Leute Deiner Generation sind im Barther Stadtbild im Vergleich zu anderen Altersgruppen nicht so präsent. Warum bist Du denn nicht in eine andere, größere und aufregendere Stadt gezogen?

 

Das ist wohl ein Familiensyndrom. Alle aus meiner Familie haben immer in Barth gelebt. Außer eine Cousine, die lebt in Magdeburg. Es können ja auch nicht alle wegziehen. Ich bin ein Küstenkind, habe hier Freunde und Familie. Manchmal bin ich auch privat in Rostock. Der Anfahrtsweg beruflich wie privat stört mich nicht. Irgendetwas zieht mich immer hierher. Barth ist mein Anker.

 

Was machst Du so in Deiner Freizeit?

 

Ich treffe Freunde.  Außerdem bin ich stark in der Ostrockszene involviert. Ich habe schon als kleines Kind Konzerte besucht und fand die Musik faszinierend.  Meine erste CD war von den Puhdys. Die hatte ich von meinem Vater und damit  bin ich zur Schule gegangen, als jeder seine Lieblings-CD mitbringen sollte. Das fanden alle komisch und haben mich gemobbt. Wie kann man nur als kleines Mädchen Puhdys hören! Die sind out! Das war ein Negativerlebnis. Ich habe mich aber nicht von meiner Leidenschaft abbringen lassen. Jetzt habe ich komplett alle Platten von den Puhdys und sehr sehr viele Ostrockplatten von allen möglichen Bands.

 

Beim Sammeln von Ostrockplatten und Besuchen von Konzerten ist es aber nicht geblieben?!

 

Nein. Ich habe 2013 ein Konzert von Rockhaus besucht. Nach den ersten Kontakten wurde ich Mitglied im Fanclub der Band und leite ihn zurzeit sogar. Außerdem schreibe ich Konzertberichte und Platten-Rezensionen. Ich mache mich stark für den Ostrock.  Urlaub gibt es bei mir auch nur in Ostdeutschland. Köln oder so interessiert mich nicht. Ich weiß auch nicht warum... (jetzt lächelt sie ein wenig verlegen)

 

Welche Veranstaltungen besuchst Du in Barth?

 

Das Kinderfest. Ganz klar. Das kann man keinem Nicht-Barther beschreiben. "Ich wollte immer Königin werden –  es hat aber nie geklappt. Schön wäre es, wenn die Freilichtbühne wieder mehr belebt werden würde. Auch der Weihnachtsmarkt ist schön. „Sounds im Sonnenuntergang“ am Hafen war eine tolle Idee. Gern nächstes Jahr wieder."

 

Was macht Dich wütend?

 

Wenn Menschen ohne Kenntnisse über einen anderen Menschen oder eine Sache urteilen. Intoleranz macht mich wütend. Vandalismus macht mich auch wütend. Da stellt die Stadt Strandkörbe an den Hafen und dann werden die beschädigt. Furchtbar!  

 

Wie bist Du über die Corona-Zeit bisher gekommen?

 

Gut. Ohne Einbußen. In meiner Familie und im Bekanntenkreis hatten wir bisher keinen Corona-Fall.  Allerdings gruselte es mir bei Spaziergängen im März durch Barth und Zingst: alles war menschenleer! Die leeren Regale im April und zu Ostern waren erschreckend. Ich war fast allein im Karls Erdbeerhof!

Es gibt keine Konzerte mehr! Die Veranstaltungsbranche wird fallen gelassen!

 

Was unterscheidet einen Barther von einem Nicht-Barther?

 

Der Blick auf die Stadt. Wir Barther lieben unsere Stadt. Außerdem: Wir können aus allen Richtungen auf unsere Marienkirche schauen!

 

Wenn Du Dir eine Funktion aussuchen könntest, in der Du für Barth arbeiten könntest, welche wäre das?

 

Im Kulturmanagement!

 

Da gibt es  schon Nicole Paszehr!

 

Wir könnten prima zusammen arbeiten (Lisa lacht laut und herzlich).

 

Wie siehst Du Dich in zehn Jahren?

 

Nicht mehr in der Medizin. Ich möchte Schreiben zu meinem Beruf machen! Ich möchte Ostbeauftragte der Nachwendekinder werden! Ich schreibe jetzt schon so viele Rezensionen über Ostmusik: vielleicht geht da noch mehr! Bisher hat sich alles für mich ergeben. Mit Schreiben mein Geld verdienen. Ja, das wäre es ... und Kulturmanagement (breites Grinsen!)!

 

Mann und Kinder?

 

Ja, auch. Kommt, wenn es kommt.

 

 Wenn es Dir möglich gemacht wird, ein Jahr auf Weltreise zu gehen, glaubst Du, dass Du  danach wieder in Barth leben willst?

 

Ja, auf jeden Fall.

 

Vielleicht entdeckst Du ja überraschend einen Ort, der Dich begeistert!

 

Ich würde nach Barth zurückkehren.

 

Sicher?

 

Ja.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Über eine Stunde lang haben sich Lisa und ich bei bestem Wetter an der Barther Hafenkante unterhalten. Das mit den Fotos kannte sie ja schon.

Ich bin ein wenig reicher an menschlicher Empathie geworden. Und ich weiß: Der Partner von Lisa sollte nicht auf Helene Fischer und Kölner Karneval stehen. Alles andere wäre wohl ein heißer Tanz in Sachen Toleranz. Obwohl: als hinter uns ein paar Spargel-Tarzane den Bass in ihren Rucksäckchen aufdrehten, rollte Lisa kurz genervt mit den Augen. Es muss schon Ostrock sein. „Geh zu ihr“!

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Barbara Werner (Dienstag, 06 Oktober 2020 19:42)

    ich wünsche Lisa viel Spaß und Erfolg als "Ostbeauftragte" für die Nachwendekinder

  • #2

    Marie-Louise Albrecht (Dienstag, 06 Oktober 2020 19:53)

    Ein toller Beitrag über eine ganz tolle Bartherin, der ich von Herzen wünsche, dass jemand ihr Talent erkennt und sie auch endlich beruflich schreiben darf :-) oder halt Kulturmanagement ;-)